Törnbericht: Stockholmer Schärengarten | Juni 2014 | Privattörn | Yacht: Arcona 340
14. Juni 2014
Beim Anflug auf Stockholm reißt die Wolkendecke auf und der Blick wird frei auf unser Segelrevier für die nächste Woche. Enge Durchfahrten und größere Wasserflächen bilden mit den unzähligen Inseln unzähligen Inseln ein endloses Labyrinth. Wir landen ca. 40 Kilometer nördlich von Stockholm auf dem Arlanda Airport und erreichen das Stadtzentrum von dort aus in einer halben Stunde mit dem Arlanda Express. Alles läuft sehr entspannt ab, die Schweden sind freundlich, sehr hilfsbereit und sprechen sofort Englisch, wenn sie bemerken, dass man ihre Sprache nicht beherrscht. Jegliche Bezahlung – von der Zugfahrkarte über den Schokoriegel bis zum Busfahrschein – wird über die Kreditkarte abgewickelt.
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Unser Ziel ist Gustavsberg, ein kleiner Vorort im Südosten von Stockholm. Hier hat die Werft ihren Sitz, die unsere nagelneue Arcona 340 gerade ausgeliefert hat und auf der wir jetzt eine Woche mitsegeln dürfen. Von Slussen, der Schleuse, die das Süßwasser des Mälarensees vom Salzwasser der Ostsee trennt, fahren wir mit dem Linienbus Richtung Hemmesta durch die hügelige, mit Kiefern und Birken bewachsene Felsenlandschaft.
Beim Aussteigen pfeift uns ein heftiger Nordwind um die Ohren. Es ist zwar sonnig, aber kalt. Gustavsberg war früher das Zentrum der schwedischen Porzellanindustrie. In den ehemaligen Fabrikhallen aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts befindet sich heute ein Museum. Wir gehen am Wasser entlang zu den Liegeplätzen der Arcona Werft, wo uns der Skipper und Eigner der Yacht schon am Steg erwartet.
Leider teilt er uns gleich mit, dass wir heute nicht mehr auslaufen werden. Der Nordwind weht jetzt schon mit sechs Windstärken und soll bis zum Abend noch weiter zunehmen. Erst morgen am frühen Nachmittag wird Segeln wieder möglich sein. Das gibt uns Zeit, unsere Sachen in Ruhe auszupacken und das Schiff und seine Ausrüstung gründlich kennenzulernen. Aber erst geht es einmal zur eigentlichen Attraktion von Gustavsberg: der Bäckerei mit angeschlossenem Café. Ausnehmend hübsche, vorwiegend blonde, unglaublich freundliche Verkäuferinnen stehen hinter einer Theke, auf der sich die leckersten Teilchen und Kuchen stapeln. Bei diesem Anblick sind wir erst einmal sprachlos und der Skipper, der diese Szenerie schon kennt, muss mit der Bestellung beginnen. Er ordert für jeden von uns ein Kanelbullar (Zimtschnecke) zum Kaffee. Seine Entscheidung erweist sich als goldrichtig. Die nächste Station ist der Hemsköp, der örtliche Supermarkt. Hier kaufen wir für die gesamte nächste Woche ein, denn auf den kleinen einsamen Inseln gibt nur selten Gelegenheit etwas zu erstehen und wenn doch, ist das Angebot beschränkt. Danach steht ein Besuch im staatlichen Systembolaget an, da der Supermarkt außer Dünnbier keinen Alkohol anbieten darf. Schwer bepackt erreichen wir die Yacht, räumen die Vorräte ein und gehen dann ins nahegelegene Bistro zum Mittagessen.
An der Theke werden wir wieder von einer sehr netten jungen Dame empfangen, die aussieht wie die schwedische Kronprinzessin, nur viel hübscher. Sie gibt jedem von uns alten Knackern das Gefühl etwas Besonderes zu sein, lacht dabei bezaubernd und dreht uns ihre teuersten Gerichte an. Egal, das Auge isst mit. Das Essen ist reichhaltig und gut. Um uns herum sitzen Familien mit Kindern, Rentner und Paare im mittleren Alter, die sich angeregt in ihrer melodischen Sprache unterhalten. Es herrscht eine angenehme und fröhliche Stimmung.
Nach dem Essen ist ein Mittagsschläfchen angesagt. Um danach wieder wach zu werden, besuchen wir ein weiteres Mal die Bäckerei. Das Koffein im Kaffee und das Adrenalin beim Anblick der Bäckerinnen erzielen die gewünschte Wirkung. Gestärkt durch ein Puddingteilchen treten wir den Rückweg an, um uns vom Skipper in die Geheimnisse der Yacht einweisen zu lassen.
Aber womit anfangen? Am besten mit einem elementaren Gerät, das jeder mal benutzt: die Toilette. Es handelt sich hier zwar um ein yachttypisches Pumpklo, aber es ist doch immer wieder gut, sich die Funktion nach längerer Zeit wieder zeigen zu lassen. Außerdem ist bei der Arcona 340 das zuführende Seeventil nicht wie üblich unter dem Waschbecken angebracht, sondern in der Bilge. So wird die Pumpleistung auch bei Krängung garantiert. Das setzt aber voraus, dass man das Ventil öffnet, bevor man die Toilette betritt. Außerdem geht das Abwasser direkt in den Fäkalientank, ohne die Möglichkeit es nach Außenbords zu pumpen. Der Tank ist für drei Mann Besatzung mit 50 Litern nicht gerade üppig bemessen. Deshalb ist an das rechtzeitige Absaugen des Tanks zu denken, damit das Grauwasser bei Krängung nicht in die Entlüftung läuft und diese eventuell verstopft. Sollte das passieren, ist das Abpumpen der Toilette nicht mehr möglich.
Vor dem Badezimmer an Steuerbord ist bei der Arcona 340 gleich der Navigationsplatz. Deshalb machen wir dort weiter mit der Einweisung: Wie funktioniert das Elektropanel? Wo sind die Knöpfe für die einzelnen Verbraucher? Besondere Aufmerksamkeit gilt hier der Bilgenpumpe. Sie ist an den gleichen Verteiler wie die Abwasserpumpe der Dusche im Bad angeschlossen. Für diese gibt es aber noch einen Schalter unter dem Waschbecken, den man leicht aus Versehen umlegen kann. Springt also die Bilgenpumpe nicht an, wenn man sie am Panel anschaltet, sollte man die Ursache dafür im Bad suchen. Eine wichtige Information für den Notfall.
Unter dem Navigationsplatz ist der Hauptschalter für die Verbraucherbatterien, der für die Starterbatterie befindet sich in der Achterkabine. Wo ist das Signalhorn, der Handscheinwerfer, die Taschenlampe, die Feuerlöschdecke, die Feuerlöscher und wo das Werkzeug? Wo ist der Verbandskasten und was ist für welche Verletzung enthalten? Wo ist der Wassertank und wo der Warmwasserboiler? Wo könnte ein Leck entstehen und wo muss gesucht werden, falls sich Süßwasser in der Bilge sammelt. Und wenn Salzwasser in der Bilge ist? Also gehen wir alle Seeventile durch, die für das Bad, die unter der Spüle, die Cockpitlenzventile und die Ventile im Motorraum. Wir suchen nach den Durchbrüchen für Lot und Logge.
Dann ist der Gasherd dran. Die Gasflasche befindet sich am Bug im Ankerkasten und muss vor dem Kochen auf- und nachher wieder zugedreht werden. Direkt am Herd ist noch ein Ventil. Wie zündet man die Flamme mit der Elektrozündung? Noch einmal rufen wir uns in Erinnerung, wo Feuerlöschdecke und Feuerlöscher sind. Wie öffnet man die kardanische Aufhängung des Herdes und wie sichert man Töpfe und Kessel vor dem Herunterfallen? Wo kann man sich bei Seegang gefahrlos festhalten?
Wir überprüfen die Rettungswesten und passen sie dem jeweiligen Träger an. An Deck lassen wir uns erklären, wie der Motor gestartet und gestoppt wird und suchen nach der Rettungsinsel, die in der Backskiste in einer Tasche untergebracht ist. Wir kramen sie hervor und lassen uns die Funktion erklären. Dabei kommt der Bootshaken, der Bojenhaken und weitere nützliche Ausrüstung zum Vorschein. Auch hier wird alles ausprobiert und erklärt. Wir stoßen auf die Notpinne und setzen sie gleich einmal ein. Wir überprüfen den Rettungskragen und die Wurfleine, die am Heckkorb angebracht sind. Danach üben wir an den Winschen, wie man eingeklemmte Finger und Überläufer vermeidet und wie man letztere wieder löst, falls sie doch aufgetreten sind. Zum Schluss gehen wir das stehende und laufende Gut durch, denn da gibt es bei der Arcona 340 einige Besonderheiten. Der Heckanker in der Backskiste und der elektrische Landanschluss sind die letzten Punkte, die wir für heute abarbeiten, denn sonst wird es einfach zu viel.
Wir schrauben eine Hilfsvorrichtung für den Heckanker an den Heckkorb und bereiten uns leckere Smörebröds. Den Abend lassen wir mit einer Flasche Wein ausklingen, gehen dabei noch einmal die Ausrüstung durch, beglückwünschen den Skipper zu seiner schönen Yacht und sind erstaunt, wie lange es draußen tatsächlich hell ist. Leider ist es im Cockpit zu kalt und auch unter Deck haben wir den Elektroofen laufen. Viel zu spät kriechen wir in unsere Kojen.
Sonntag, 15. Juni
Obwohl der Hafen der Arcona Werft recht geschützt ist, hat uns der Nordwind die ganze Nacht ordentlich durchgeschüttelt und kalte Polarluft mitgebracht. Also schalten wir als erstes wieder den Heizlüfter an, nachdem wir uns aus den Schlafsäcken geschält haben. Erstaunt stellen wir fest, dass nur die Seitenfenster im Salon ein wenig beschlagen sind. Ansonsten ist Dank des einlaminierten Schaumkerns kein Schwitzwasser festzustellen. Auch die Bilge ist knochentrocken.
Damit es nicht gleich am ersten Morgen zu einem Streit unter den Crewmitgliedern kommt, nimmt sich der Skipper das Recht, die Brötchen bei den netten Bäckerinnen zu holen. Nach dem Frühstück will er uns in die Navigation in diesem anspruchvollen Revier einweisen.
Schon der erste Blick auf die Seekarte ist ein Schock. Sie sieht aus, als hätte jemand wahllos Kaffee auf Papier tropfen lassen und dazwischen ein paar Stellen dunkelblau, andere hellblau gemalt. Alles sieht gleich aus, die Flecken unterscheiden sich nur in ihrer Größe und ein wenig in ihrer Form, es gibt kaum Landmarken, nach denen man sich richten könnte. Die Karten sind in so großem Maßstab, dass man auch keinen rechten Überblick bekommt, wo es eigentlich hingehen soll.
Wenn man hier nur mit Karte navigiert, muss man sich also vor Fahrtantritt die möglichen Kurslinien einzeichnen, die man fahren will. Die Gradzahlen sollte man möglichst schon daneben schreiben. Bei den engen Fahrwassern bleibt einem später keine Zeit mehr dazu. Und dann heißt es Inseln und Tonnen abhaken, die man schon passiert hat, denn hier sieht alles gleich aus. Man verliert leicht die Orientierung. Um einen herum sind Felsen mit Kiefern und Birken und Felsen mit Birken und Kiefern und voraus sind Felsen mit Kiefern und Birken. Und überall lauern dicht unter der Wasseroberfläche Felsen ohne Kiefern und Birken, die nur darauf warten, dass man auf sie drauffährt. In die schwedischen Sportbootkarten sind schon empfohlene Fahrrouten eingezeichnet, denen man auch besser folgen sollte. Zum Glück gibt es ja heute auch die elektronische Navigation, die das Befahren dieses Reviers ungemein erleichtert, aber auch zu Leichtsinn verführt. Unser Skipper hat neben den Papierkarten einen Plotter am Steuerstand installiert und zusätzlich als unabhängiges Sicherheitssystem ein Laptop mit GPS-Maus und elektronischer Seekarte unter Deck. In der Notfalltasche haben wir noch ein Hand-GPS-Gerät. Man muss allerdings auch wissen, wie die Geräte funktionieren. Die Einweisung nimmt viel Zeit in Anspruch.
Zum Schluss teilt der Skipper Umschläge an uns aus, in die wir eine Liste der von uns benötigten Medikamente und eine Beschreibung unserer Vorerkrankungen hineintun. Sollte es auf See zum Notfall kommen, kann ein Arzt im Medicogespräch oder bei Abbergung mit diesen Informationen die richtigen Entscheidungen treffen. Um niemanden zu diskriminieren, geben auch die Gesunden einen verschlossenen Umschlag ab. Wenn alles gut geht, bekommen wir sie nach der Reise ungeöffnet wieder zurück. Zur Sicherheit speichern wir alle die Telefonnummer von Bremen Rescue in unsere Handys.
Der Wind ist gegen 11.00 Uhr merklich abgeflaut, die Sonne scheint und wir können endlich starten. Da es die nächste Woche weiter aus nördlichen Richtungen wehen soll, haben wir uns dazu entschieden, zuerst grob in diese Richtung zu fahren, damit wir auf dem Rückweg nicht mehr kreuzen müssen. Eigentlich soll mehr der Weg das Ziel sein. Wir geben für die bessere Übersicht Wegpunkte in den Plotter ein und markieren uns Ausweichhäfen und Notfallbuchten. Vor dem Start muss die Yacht seeklar gemacht werden. Unter Deck wird alles so verstaut, dass auch bei Seegang und Krängung nichts herausfallen kann. Alle Luken und die Seeventile werden geschlossen. Rettungswesten und Ölzeug liegen leicht erreichbar bereit. Wir nehmen die Persenning vom aufgerollten Vorsegel und vom Großsegel, schlagen die Fallen und Schoten an und verteilen die Aufgaben für das Ablegemanöver. Nachdem wir Ölstand und Seewasserfilter überprüft haben, wird der Motor gestartet und nachgeschaut, ob das Kühlwasser läuft.
Um 11.30 Uhr legen wir ab und verlassen die Bucht von Gustavsberg durch ihre einzige Öffnung in Richtung Südost. An dem schmalen Kanal stehen rote und gelbe Holzhäuser dicht am Wasser, davor jeweils ein Steg mit einem Boot. Das alles könnte die Kulisse für einen Astrid Lindgren Film sein, den wir hier auf einer riesigen Leinwand anschauen.
Über den Sund spannt sich eine 22 Meter hohe Brücke und es scheint, als würde die AIS-Antenne fast am Beton kratzen, als wir mit unserem 17 Meter hohen Mast darunter hindurchfahren. Nach kurzer Zeit öffnet sich die große offene Wasserfläche des Baggensfjärden, aber auch hier müssen wir uns erst noch strikt ans Fahrwasser halten, denn links und rechts davon liegen dicke Steine. Manche ragen heraus, manche werden nur leicht überspült und die meisten sieht man überhaupt nicht.
Aber dann ist es endlich soweit. Wir können Segel setzen. Der Skipper dreht die Yacht in den Wind, ich gehe nach vorne an den Mast und heiße das Segel vor, die Feinarbeit wird dann im Cockpit an der Winsch neben dem Niedergang erledigt. Das neue Segel knistert herrlich, als es hochgezogen wird. Es steht dann wunderbar am Wind. Wir fallen ab und rollen die Fock aus. Schon legt sich das Boot auf die Seite und springt an. Der Motor wird ausgeschaltet und wir schneiden bei drei bis vier südwestlichen Windstärken auf Amwindkurs durchs Wasser.
Wegen des nahen Ufers und dem geringen Seegang fühlen wir uns wie auf einem großen Binnensee. Die Sonne scheint, das Wasser glitzert! Wir trimmen die Segel mit Barber Hauler und Traveller, setzen den Unterliekstrecker durch und freuen uns über jeden zehntel Knoten, den das Schiff schneller fährt. Die Arcona 340 ist nur mit einer relativ kleinen Fock ausgestattet und gleicht die dadurch verlorene Segelfläche durch den mit 17 Metern recht hohen Mast aus. Damit segelt sie exzellent bei Schwachwind, geht sehr hoch an den Wind, muss bei stärkerem Wind aber schon relativ früh gerefft werden.
Endlich ist Platz genug, um ein paar Bergungsmanöver zu fahren. Wir bekommen dabei ein Gefühl dafür, wie man das Boot präzise zum Stehen bekommt. Wie das allerdings in engerem Fahrwasser funktionieren soll, ist uns noch nicht so ganz klar – auch wenn die Arcona 340 wirklich sehr wendig ist und fast auf dem Teller dreht.
Wir weichen einer Optiregatta mit mehr als 50 Teilnehmern aus, haben bald das südliche Ende des Baggensfjärden erreicht und gehen dort auf Kurs Südwest. Die Insel Ingarö bleibt dabei längere Zeit an Backbord, während an Steuerbord eine kleine Insel auf die andere folgt.
Langsam gewöhnen wir uns an das Schiff, die Seebeine beginnen zu wachsen, wir genießen die angenehme Fahrt und natürlich will jeder einmal steuern. Unzählige Wochenendausflügler, die jetzt zurück in ihre Heimathäfen fahren, kommen uns entgegen. Die meisten haben allerdings ihre Segel schon geborgen und sparen sich hier in Motorfahrt das Aufkreuzen im doch recht engen Fahrwasser.
Gegen 14.00 Uhr haben wir das Leuchtfeuer auf der kleinen Insel Gröno querab und schlagen im Nämdöfrjärden Kurs Nordost ein. Diesen Kurs können wir jetzt lange halten. Die Sonne scheint, wir gleiten über das glatte Wasser und die schöne Schärenlandschaft zieht an uns vorbei. Ab und zu passieren uns Fahrgastschiffe und ein großer Zweimaster kreuzt auf uns zu. Er birgt aber bald die Segel und fährt unter Motor weiter. Die zahlreichen Wochenendgäste an Bord müssen nach Hause.
Langsam verjüngt sich der Nämdöfrjärden und die Inseln rücken wieder näher. Nachdem wir die engste Stelle passiert haben, öffnet sich vor uns die große Wasserfläche des Kanholmsfjärden. Der Wind kommt jetzt achterlich und lässt gegen 18.00 Uhr deutlich nach. Wieder fühlen wir uns ans Binnensegeln erinnert. Wir könnten jetzt den Motor anwerfen, aber uns treibt nichts. Die Abende sind lang, wir müssen keinen Liegeplatz in einem Hafen ergattern und bei der glatten See schlagen die Segel nicht. Die Arcona 340 spielt hier voll und ganz ihre Schwachwindstärke aus.
Wir erreichen wieder ein paar Inseln und sind schon ganz in der Nähe unseres Ankerplatzes. In der Luft liegt ein leises Klacken, so als würde in der Ferne jemand mit einem Presslufthammer arbeiten. Wir suchen mit dem Fernglas die Schären ab, können aber nichts entdecken. Erst als wir einmal ganz nah an einer Insel vorbeifahren, stellen wir fest, dass die zahlreich hier lebenden Enten diese Geräusche machen. Wir erleben eine tolle Abendstimmung.
Wir bergen die Segel erst kurz vor unserer Ankerbucht, die zwischen den Inseln Säck und Krokholm liegt. Die Einfahrt ist sehr eng und zu unserer Überraschung liegen nur zwei Yachten an den Felsen. Wir visieren das ihnen abgewandte südwestliche Ufer an, auch wenn morgen der Wind auf Nordost drehen soll. Die schützenden Felswände sind hoch und wir lassen uns von dem spiegelglatten Wasser verführen.
Wir machen die Landleinen am Bug klar und holen den Bügelanker samt Bleileine mit Kettenvorlauf aus der Backskiste. Diesen legen wir auf die neu installierte Ankerhalterung am Heckkorb, so dass er bereit zum Fallen ist, ohne dabei das Heck zu beschädigen. Auch das Aufholen geht damit leichter und man kann Anker und Kette reinigen, bevor sie wieder an Bord kommen. Im Revierführer sind die Stellen, an denen man an Land festmachen kann, rot gekennzeichnet. Dort fällt der Felsen meist steil ins Wasser ab, so dass man fast bis ans Ufer fahren kann.
Wir steuern auf den Platz zu, den wir uns ausgesucht haben und lassen den Anker fallen. Der Mann auf dem Bug zeigt die Entfernung zum Ufer an und springt dort angekommen mit den Leinen in der Hand auf den Fels. Das bereut er gleich, denn er ist keine 20 mehr und es knirscht in allen Knochen. Von der Bugleiter aus wäre es nur ein Schritt nach vorne gewesen, aber die liegt noch in der Backskiste. Die Luvleine wird gleich an einem Baum befestigt. Der Skipper sieht nach, ob wir gut liegen. Der Platz ist perfekt, aber die übrig gebliebene Ankerleine ist ihm zu lang. Er befürchtet, dass der Anker ausbrechen könnte, wenn heute Nacht der Wind auffrischt. Also alles noch mal von vorne. Der Mann an Land bleibt an Land.
Der Anker sitzt bombenfest und wir müssen ihn aus dem Schlick ausbrechen. Die 15 Kilo per Hand aufzuholen, ist gar nicht so einfach. Hier bewährt sich jetzt ein weiteres Mal die Heckankerhalterung.
Aber ach, jetzt ist die Leine zu kurz und muss verlängert werden. Der Mann an Land legt die Vorleinen auf Slip um zwei Kiefern. Endlich sind wir fest, können das Segel ordentlich auftuchen und ein bisschen klar Schiff machen. Sofort schwirren die Mücken heran und können gerade noch mit Netzen daran gehindert werden unter Deck einzudringen.
Nach einer kurzen Erkundung der Insel meldet sich der Hunger. Wir kochen, schauen den Mücken zu, wie sie in ihrer Gier am Netz am Niedergang hängen. Unser Essen genießen wir dann unter Deck. Draußen ist es leider zu kalt. Nach dem Abwasch machen wir es uns gemütlich und werfen die Dieselheizung an. Der Wind frischt deutlich auf und dreht tatsächlich auf Nordost. Dazu fängt es auch noch an zu regnen. Das Boot beginnt zu schaukeln und kleine Wellen klatschen ans Heck. Aber jetzt noch einmal den Anker aufholen, wollen wir nicht.
Montag, 16. Juni
Die Nacht war unruhig und auch am Morgen bläst es noch ordentlich. Es regnet und wir lassen uns deshalb Zeit mit dem Frühstück. Da es draußen so ungemütlich ist, habe ich keine Lust an Land zum Toilettenhäuschen zu kraxeln. Wozu hat man schließlich einen Fäkalientank. Und dann der Alptraum. Das Geschäft schwimmt in der Schüssel, aber die Pumpe sitzt fest. Nach einem ersten Schock lege ich den Hebel um. Abpumpen funktioniert noch, aber Seewasser hochholen und spülen nicht mehr. Ein Blick auf den durchsichtigen Schlauch vor der Pumpe offenbart dann das Problem: Ich habe einen kleinen Fisch angesaugt, der alles blockiert.
Schnell sind die Schlauchschellen gelöst, doch für den Fisch ist es zu spät. Wahrscheinlich ist ihm die Schwimmblase geplatzt. Er ist leider zur falschen Zeit am falschen Ort herumgeschwommen. Wenn ich nicht zu faul gewesen wäre an Land zu gehen, könnte er noch leben.
Wir wagen es erst gegen Mittag abzulegen, als sich die Windanzeige so zwischen drei und vier Beaufort eingependelt hat. Der Heckanker muss wieder ausgebrochen werden. Draußen vor den Inseln werden wir, wie befürchtet, von noch stärkerem Wind empfangen. Allein das Segelsetzen ist schon schwierig. Auf das erste Reff folgt sofort das zweite. Die Fock bleibt halb eingerollt und trotzdem krängt das Boot stark. Einem ungesicherten Glas wird das zum Verhängnis und es zerschellt auf dem Salonboden. Das Fahrwasser ist eng, wir müssen bei hoher Geschwindigkeit eine Wende nach der anderen fahren. Die Arcona 340 verzeiht keine Fehler. Ist die Fock auf Amwindkurs nicht richtig dicht geholt, bleibt das Schiff fast stehen.
An Steuerbord haben wir inzwischen die Insel Möja und das Fahrwasser wird wieder offener. Jetzt müssen wir zwar nicht mehr so viele Manöver fahren, aber der Wind bläst immer stärker. Schnell sind wir bei sechs Beaufort und die Böen sind noch heftiger. Das ist bei dem niedrigen Seegang mit diesem Schiff ganz gut zu machen, aber was wenn der Wind noch mehr zunimmt? Zu reffen gibt es jetzt eigentlich nichts mehr. Unter diesen Umständen den ganzen zu Tag kreuzen, ist keine so schöne Vorstellung. „Gentlemen don’t sail upwind!“ und deshalb halten wir nach einer geschützten Bucht Ausschau. Gegen 15.00 Uhr bergen wir schon wieder die Segel und laufen die nach Nordwest geschützte Bucht aufKålö an. Aber es ist anders als gedacht: Der Wind wird von der gegenüberliegenden Insel Storö reflektiert und folgt uns an den Ankerplatz. Egal. Eine andere Möglichkeit ist nicht in der Nähe und die umgelenkten Wellen sind nicht allzu hoch, denken wir.
Ein großer schwedischer Segelclub betreibt hier einen Steg in der Bucht, an dem man mit Heckboje und zwei Vorleinen festmacht. Vereinsmitgliedsmitglieder haben hier bei den Liegeplätzen allerdings Vorrang. Es kann also sein, dass man in der Hochsaison die Bucht im Laufe des Abends wieder verlassen muss. Wir erwischen die Öse der Boje mit dem Haken, aber bei der Anfahrt auf den Steg erweist sich die 20 Meter lange Leine als zu kurz.
Hier könnten also 30 Meter lange Yachten festmachen. Während wir die Leine verlängern, vertreibt uns der Wind auch schon. Jetzt erweist sich der große Abstand als günstig, denn wir haben so genug Platz in die Achterleine an der Boje einzudampfen und das Schiff wieder richtig auszurichten. Das wäre sogar gegangen, wenn hier eine Yacht neben der anderen gelegen hätte. Schnell sind wir am Steg fest. Kurz nach uns läuft noch eine andere Yacht ein und auch hier verschätzt sich die Besatzung mit der Leinenlänge. Die Schweden benutzen für die Bojen einen in die Leine eingespleißten Karabinerhaken und genauso belegen sie auch die Ringe am Steg.
Wir klaren das Schiff auf, schauen uns in der näheren Umgebung um und kochen uns einen Kaffee. Später taucht noch jemand vom Verein auf und heißt uns herzlich willkommen. Er fragt, ob er später für uns die Sauna vorbereiten soll. Der Skipper nimmt das Angebot gerne an.
Kålö ist zu großen Teilen in Privatbesitz. Trotzdem wagen wir uns an einem provisorischen Zaun entlang auf die andere Seite der Insel. Die Sonne ist wieder herausgekommen. Wir gehen durch dichten Kiefernwald. Links und rechts des Pfades wachsen Blaubeeren. Die Blütenblätter sind gerade abgefallen und es bilden sich die ersten kleinen grünen Perlen. Am Ufer blühen die verschiedensten Wildblumen. Wir klettern auf die Felsen und genießen den Blick auf die Nachbarschären und das offene Wasser.
Wieder am Steg vermissen wir den Skipper. Wir entdecken ihn oben auf dem höchsten Felsen der Insel, wo er mit seinem Notebook sitzt und versucht, den Wetterbericht zu empfangen. Der Wind soll heute Nacht noch stärker werden und sich erst morgen Nachmittag etwas abschwächen.
Nach dem Abendessen ist die Sauna vorgeheizt. Der Duft des Holzfeuers liegt über der Bucht. Während die anderen schwitzen, mache ich die Backschaft, räume auf und schaue ihnen zu, wie sie vom Steg aus in das kalte Wasser hüpfen. Es wird ein sehr gemütlicher Abend unter Deck, denn draußen ist es wieder zu kalt und zu windig. Auch den Mücken scheint das Wetter nicht zu gefallen, denn sie bleiben weg.
Dienstag, 17. Juni
Die Nacht war sehr unruhig und wir bekommen die Augen kaum auf. Wir können uns aber auch Zeit lassen, denn der Wind ist immer noch zu stark und es regnet. Trotzdem mache ich mich heute auf den Weg zum Klohäuschen. Es soll nicht noch ein Fisch sinnlos sterben. So schön wie heute habe ich noch nie auf einer Toilette gesessen. In Blickrichtung ist ein großes Fenster mit Aussicht auf die Bucht und über der Klopapierrolle hängt ein Portrait von Königin Sylvia und ihrem Carl Gustav.
Es ist wirklich ungemütlich draußen. Neun Grad Celsius. Kälter als dieses Jahr in Deutschland am ersten Januar. Hier läuft für mein Gefühl etwas falsch. Mein Bild von Schweden ist von den wunderschönen Sommern in den Astrid Lindgren Filmen geprägt. Da regnet es nie. Das da draußen in unserer Bucht sieht deutlich nach Betrug aus.
Gegen 15.00 Uhr kriegen wir den Buchtenkoller. Es reicht! Wir laufen aus. Die Wolken hängen tief, alles ist grau, der Regen prasselt auf das Deck. Ölzeugtest. Aber wir sind wenigstens wieder unterwegs. Wir erreichen schnell ein offeneres Gewässer und setzen die Segel, vorsichtshalber im ersten Reff. Herrlicher Segelwind! Die Yacht legt sich auf die Seite und fährt mit sechseinhalb Knoten los. Wunderbar! Wenn jetzt nur dieser verdammte Regen aufhören würde. Ich bin wasserscheu und setze mich im Schutz der Sprayhood im Niedergang auf die Kante.
Wir fahren Kurs Nordost. Die Yacht schneidet durch die Wellen. Mitten auf dem Wasser taucht eine einsame rote Tonne auf. Was soll die denn da? Blick auf den Plotter. Hm. Jetzt abfallen und sie an Backbord zu lassen, hieße Höhe verlieren. Und es läuft doch grade so schön. Der Steuermann hat gerade aus der elektronischen Detailkarte herausgezoomt, um einen Überblick zu bekommen, wo es überhaupt hingehen soll. In dieser Einstellung ist um die Tonne herum ein großer hellblauer Fleck eingezeichnet. Ach, das müsste für unseren Tiefgang reichen. Die Tonne zieht an Steuerbord an uns vorbei.
Es gibt einen heftigen Schlag. Dann Schleifgeräusche. Der Steuermann wird auf das Rad gedrückt. Unter Deck scheppert es. Es geht von sechseinhalb Knoten auf null. Aufgelaufen. Wir liegen schräg auf einem Stein. Ungefähr im gleichen Winkel, in dem wir eben gekrängt gesegelt sind. Welch ein Glück, so sind wir nicht frontal dagegen geknallt, aber wir sitzen fest. Nach einer Schrecksekunde kommt wieder Leben in die Mannschaft. Was jetzt? Wie kommen wir hier wieder runter?
Meine erste Sorge: Haben wir Wassereinbruch? Unter Deck sieht es wüst aus. Der Wasserkessel ist vom Herd auf die gegenüberliegende Toilettentür geflogen und hat dort eine Macke hineingehauen. Die Bodenbretter sind nass. Die Bretter, die die Spüle abdecken, sind hochgeflogen und haben den Hebel des Wasserhahns nach oben gedrückt. Das Wasser schießt über den Rand der Spüle in den Salon. Dieses Problem ist schnell gelöst. Aber wie sieht es in der Bilge aus? Vor der Spüle haben sich die verschraubten Bodenbretter gelöst. Auch darunter ist es nass. Aber es ist Süßwasser. Wahrscheinlich aus der Spüle. Es kommt nichts nach. Ich schaue überall nach, kann aber nichts feststellen.
Inzwischen ist der Motor angeworfen worden. Zum Glück schrappt die Schraube nicht am Stein. Unsere Sorge gilt dem Ruder. Falls wir so freikommen, besteht die Gefahr, dass das Boot sich aufrichtet, wenn wir mit dem Kiel über den Felsen hinweg sind. Das Ruder kann sich dann aber noch über dem Stein befinden und beim Aufrichten abbrechen. Wir geben vorsichtig Gas. Das Schiff neigt sich leicht nach vorne, aber sonst passiert erst einmal nichts. Wir gehen alle nach Steuerbord und geben richtig Gas. Das Boot bewegt sich, der Motor jault, der Kiel kratzt deutlich hörbar über den Stein. Rettungsinsel und Notfalltasche liegen an Deck bereit für den Fall, dass der Kiel abfällt und wir kentern. Aber es geht gut! Plötzlich richtet sich das Schiff auf und fährt weiter. Das Ruder funktioniert. Wir können wieder auf Kurs gehen. Aber jetzt bitte nicht gleich auf den nächsten Stein knallen. Wo sind wir überhaupt? Dann der nächste Schreck. Der Bildschirm des Plotters und die Anzeigen der anderen Instrumente sind schwarz. Oh ha. Was jetzt? Hoffentlich kein ist es kein kompletter Stromausfall, denn dann funktioniert die Bilgenpumpe nicht. Wir können nicht mal in den Wind schießen zum Segelbergen, weil wir nicht wissen, was da ist.
Also drehen wir bei. Der Skipper holt das Notebook aus dem Ruhezustand und hat nach kurzer Zeit unsere Position. Um uns herum ist alles sauber. Wir können erst einmal so liegenbleiben und das Schiff noch einmal in Ruhe nach Schäden absuchen. Die Frage ist, ob wir weitersegeln können oder besser zur Werft zurückfahren. Der massive Bleikiel hat sicher nur eine Beule und dass er abfällt, ist bei der Arcona 340 eher unwahrscheinlich. Die Kielbolzen sind nicht einfach einlaminiert, sondern an einem Stahlrahmen geschraubt, der sich von vorne nach hinten durch die Bilge zieht. Bei näherer Inspektion müssen wir jedoch feststellen, dass das Laminat von diesem Rahmen teilweise abgeplatzt ist. Wie es unter dem Schiff aussieht, wissen wir nicht. Es kommt zwar im Moment kein Wasser nach, aber falls welches von unten zwischen die Glasfasermatten eindringt, wäre das sehr schlecht. Also entschließen wir uns den Rückweg anzutreten und den Schaden von der Werft begutachten zu lassen.
Um den Kiel nicht weiter zu belasten, bergen wir die Segel und drehen um. Eine Ursache für den Plotterausfall können wir nicht finden. Strom ist da und alle Steckerverbindungen sind anscheinend in Ordnung. Zum Glück läuft das Notebook und ab jetzt wird der Kurs vom Kartentisch aus bestimmt. Die Anzeigen von Windmesser, Lot und Logge bekommen wir nach langer Fummelei über die Helligkeitseinstellung wieder zum Leuchten, aber der Plotter bleibt dunkel.
Jetzt habe ich Zeit auch einmal die Schränke durchzuschauen. Mehrere Teller, Tassen und Gläser sind zu Bruch gegangen, aber der Alkoholvorrat unter dem Salontisch ist unversehrt. Auch sind keine Nudelsoßen oder Ähnliches ausgelaufen. Glück gehabt!
Der Regen hat aufgehört, aber es ist noch kalt. Der Adrenalinspiegel sinkt langsam und wir beginnen zu frieren. Keiner will jetzt steuern, aber einer muss. Die Inseln ziehen an uns vorbei, aber wir haben keinen rechten Blick mehr dafür. Unsere Sorge gilt dem Schiff und der sicheren Heimkehr.
Es ist inzwischen schon recht spät. Wir könnten es zwar heute noch bis Gustavsberg schaffen, aber bei der Kälte macht das keinen Spaß. Wir beschließen die Insel Grinda anzulaufen, dort die Nacht zu bleiben und dann morgen ganz früh weiterzufahren. Auch bis dahin ist es noch ein gutes Stück durch das Inselgewirr. Endlich liegt der Hafen der bei den Stockholmern beliebten Ausflugsinsel vor uns. Wieder einmal ist unsere Leine zu kurz für die Boje und muss verlängert werden. Ich stehe derweil auf dem Bug und unterhalte mich mit der bezaubernden blonden Hafenmeisterin, die am Steg auf uns wartet. Endlich sind wir fest und der ganze Druck der letzten Stunden fällt von uns ab.
Wir machen klar Schiff und begutachten noch einmal die Bilge. Das aufgeplatzte Laminat am Rahmen sieht doch schlimmer aus als gedacht und es ist etwas Wasser nachgekommen – woher ist unklar. Es scheint süß zu sein, aber das Wasser in den Schären ist auch nicht besonders salzig. Wir überprüfen den Tank, die Zuleitungen und Pumpen, aber alles sieht gut aus. Mal sehen, was die Werft morgen sagt.
Wir machen uns landfein. Beim Hafen befinden sich ein kleiner Strand und ein Café mit einer großen Terrasse. Das sieht bei Sonne sicherlich wunderschön aus und ist am Wochenende bestimmt gut besucht. Jetzt liegt aber alles verlassen da, es ist kalt und der Himmel ist grau. Der einzige Sonnenschein ist unsere Hafenmeisterin, die uns auf unserem Weg zum Grinda Wärdshus, einem Hotel mit Restaurant, noch einmal anlächelt. Obwohl heute Dienstag ist, ist das Restaurant bis auf den letzten Platz besetzt. Einige Gäste warten schon auf der Terrasse auf einen Tisch. Uns ist dort aber zu kalt und zu nass. Da ist die Hausbar deutlich gemütlicher. Wir müssen gar nicht allzu lang warten, bis man uns in den Gastraum bittet. Es ist sehr gemütlich dort, die Stimmung unter den Gästen ist ausgelassen und wir können in dieser Atmosphäre den Schreck des Tages gut abschütteln. Es gibt ganz vorzüglichen Heilbutt.
Wieder am Hafen klettern wir auf den Felsen neben dem Café. Von dort aus beobachten wir eine Gruppe von Restaurantgästen, die von einem Wassertaxi abgeholt wird und genießen den grandiosen Ausblick auf die Bucht. Leider müssen wir feststellen, dass der Wind mal wieder gedreht hat und jetzt genau auf das Heck unserer Yacht steht. Dazu kommen noch die Ausläufer des Schwells der großen Fähren und Frachter, die in einiger Entfernung an der Insel vorbeiziehen. Es wird wieder eine unruhige Nacht.
Mittwoch, 18. Juni
Wir schaffen es tatsächlich wie geplant um 09.00 Uhr aus dem Hafen, kreuzen schon bald darauf die Fährlinie und steuern dann auf Vaxholm zu.
Kurz vor dem Ort preschen knapp vor uns zwei große Schlauchboote mit jeweils ca. zehn Fahrgästen an Bord durch eine Engstelle. Sie tragen alle schwarze Helme und nicken uns jedes Mal synchron zu, wenn das Boot über eine Welle springt. Das sieht sehr lustig aus.
Eigentlich sollen Sportboote die imposante Festung von Vaxholm links passieren. Wir sehen das Schild zu spät und können nur hoffen, dass uns jetzt keine Fahrgastschiffe entgegenkommen. Das Städtchen sieht nett aus und wir hätten gerne einmal angelegt, aber wir müssen weiter.
Je näher wir an Stockholm kommen, desto mehr nimmt der Schiffsverkehr zu. Auf Höhe des Stadtteils Brevik biegen wir nach Süden in den engen Skurusunet ein. Hier hat man das Gefühl, dass man den Anwohnern durch den Vorgarten fährt.
Aber es geht noch enger.
Vom Lännerstasundet in den Baggensfjärden führt ein so schmaler Kanal, dass man auf den angrenzenden Parkwiesen während der Fahrt Blumen pflücken könnte. Zum Glück haben wir hier keinen Gegenverkehr.
Jetzt sind wir auch schon bald in Gustavsberg, legen gegen 13.00 Uhr an und informieren die Werft über unser Missgeschick. Der Technikchef ist nach einer kurzen Inspektion wenig beunruhigt und will das Boot nicht aus dem Wasser holen. Die Türen und Schapps ließen sich doch noch einwandfrei schließen, also ist das Boot nicht verzogen. Der Stahlrahmen müsste nur neu einlaminiert werden. Keine große Sache. Wir könnten so erst einmal weiter segeln, nur nicht so doll und bitte nicht noch mal auf einen Felsen knallen. Uns fällt ein Stein vom Herzen.
Nach einem Mittagessen im Bistro und dem obligatorischen Besuch der Bäckerei sind wir zwar gestärkt, spüren aber doch die Müdigkeit in den Knochen. Die letzten beiden Nächte waren sehr unruhig und das Fahren unter Motor im kalten Wind war anstrengend. Wir beschließen heute nicht gleich weiter zu segeln, verholen das Schiff in die Box, halten Mittagsschlaf, machen einen Spaziergang in der näheren wunderschönen Umgebung und lassen den Tag dann endlich auch einmal im Cockpit bei einem Glas Wein ausklingen.
Etwas angesäuselt wenden wir uns wieder dem schwarzen Bildschirm des Plotters zu. Wir gehen jeden Menüpunkt durch, können den Fehler aber nicht finden. Schön, wenn die Bedienungsanleitung in Deutschland auf dem Schreibtisch liegt. Als wir ausschalten wollen, leuchtet plötzlich der lange gesuchte Regler für die Helligkeitsanzeige auf und siehe da: einmal über den Bildschirm gewischt und schon ist die Seekarte wieder zu sehen. Hurra!
Natürlich wollen wir jetzt noch einmal nachschauen, wo wir aufgelaufen sind. Wir gehen in die Kartenebene, die kurz vor dem Unfall eingestellt war. Hier ist um die Tonne herum tatsächlich nur ein großer hellblauer Fleck zu sehen. Wenn man jedoch weiter hineinzoomt, taucht ein kleiner dunkelblauer Kreis um das Seezeichen herum auf. Und da sind wir draufgeknallt. Mist.
Donnerstag, 19. Juni
Mal wieder Regen. Die tiefhängenden Wolken drücken auf die Stimmung. Auf dem Wetterradar drehen sie sich über Stockholm. Keine Besserung in Sicht. Gegen 15 Uhr reicht es uns. Wir laufen aus. Die Einfahrt in den Baggensfjärden kennen wir ja nun schon. Beim Segelsetzen geht noch einmal ein ordentlicher Regenschauer herunter, aber je weiter wir nach Süden segeln, desto mehr klart es auf.
Wir werden von dutzenden von Motorbooten überholt, die uns mit ihrem Schwell durchschaukeln. Aber auch viele Segelboote fahren unter Maschine im Konvoi an uns vorbei. Es ist kurz vor Mittsommernacht und alle möchten sich für das Fest einen guten Platz mit ihren Freunden in den stadtnahen Buchten sichern. Wir machen uns etwas Sorgen, ob wir da später noch eine Lücke finden.
Plötzlich ist der Himmel komplett blau, der Wind raumt und weht uns sanft an den Inseln vorbei. Die Aluyacht neben uns setzt den Gennacker, wir beobachten eine Seenotrettungsübung mit Hubschrauber und Rettungskreuzer und später zischt noch ein Boot der schwedischen Marine an uns vorbei.
Gegen 20.00 Uhr haben wir unsere Ankerbucht Ankerbucht auf Ornö erreicht. Hier die Einfahrt in die Bucht im Video:
Wie befürchtet ist es schon recht voll. Die Schweden liegen dicht an dicht mit ihren Freunden und grillen auf den Felsen in der Sonne. Auch in der Mitte der Bucht haben Yachten frei geankert. Wir finden einen Platz für uns auf der Seite, die jetzt schon im Schatten liegt. Es dauert allerdings, bis wir die Yacht so ausgerichtet haben, dass das aufgerollte Vorsegel zwischen die überhängenden Äste der Kiefern passt.
Als erstes sehen wir uns einmal an Land um. Auf der anderen Seite der Halbinsel scheint noch die Sonne, wir setzen uns auf die Felsen und genießen den Ausblick.
Als wir zurückkommen, haben nun auch links und rechts von uns Yachten festgemacht. Tiefe Wikingerstimmen erklingen bierselig, Kinder laufen am Ufer herum und Grillduft liegt in der Luft. Wir kommen mit unseren Nachbarn ins Gespräch und lassen uns von der ausgelassenen Stimmung anstecken.
Nach dem Essen gehen wir noch einmal an Land. Ohne die Wolken wäre es jetzt um 23.00 Uhr noch richtig hell. Leider ist es uns wieder zu kalt, um länger im Cockpit zu sitzen. Die Schweden scheint die ungemütliche Witterung nicht zu stören. Ihre Stimmen liegen die ganze Nacht über der Bucht.
Freitag, 20.07.
Der Tag beginnt mit Sonnenschein. Auch wenn es draußen um 09.30 Uhr noch recht frisch ist, frühstücken wir im Cockpit – das erste Mal auf diesem Törn. Unsere Nachbarn scheinen überhaupt nicht geschlafen zu haben und sind immer noch bestens gelaunt. Wir genießen den Tag, erkunden noch einmal die Insel, machen klar Schiff und legen dann am Nachmittag nach einem kleinen Imbiss ab. Inzwischen hat sich die Bucht noch mehr gefüllt und die nachkommenden Boote sind froh, dass wir ihnen Platz machen.
Leider hat sich der Himmel wieder zugezogen. Wir kreuzen gegen einen leichten Wind nach Norden auf. Ab und zu geht ein Regenschauer neben uns nieder, trifft uns aber nicht. Überall am Ufer sind Festzelte aufgebaut und Rockmusik schallt zu uns herüber. Ein Hubschrauber kreist lange über einer großen dunklen Rauchwolke.
Gegen 20.00 Uhr erreichen wir unsere Ziel für heute: Napolionsviken auf der Insel Ägnö. Die Einfahrt ist lang und schmal und auch diese Bucht ist gut gefüllt. Nur ein Platz an einem hohen steilen Felsen ist noch frei.
Wir brauchen wieder zwei Anläufe, da wir beim ersten Versuch nicht nah genug ans Ufer herankommen. Dann liegen wir gut, müssen aber sehr hoch klettern, um die Backbordvorleine überhaupt an einem Baum befestigen zu können. Außerdem sind wir mit der aufgerollten Fock mal wieder in die Kiefern geraten, die dabei ihre harzigen Nadeln auf dem Bug verteilt haben.
Nachdem das Deck geschrubbt und das Schiff aufgeklart ist, wird gekocht. Es ist unser letzter Abend heute und alle Reste müssen verbraucht werden. Es gibt Würstchen und Kartoffeln mit Quark. Auch die restlichen geistigen Getränke werden vernichtet. Leider ist es eigentlich zu kalt, um die schöne Stimmung an Deck zu genießen. Darum holen wir unsere Schlafsäcke heraus, setzen uns gut eingepackt ins Cockpit und lauschen den Gesängen der Anwohner auf der Insel. Hinter den Hügeln steigt der Rauch des Mitsommernachtsfeuers auf. Wir haben das Gefühl, dass es überhaupt nicht dunkel werden will.
Samstag, 21.06.
Heute stehen wir schon um 07.00 Uhr auf, die Sonne scheint und Schönwetterwolken ziehen über den Himmel. Um 09.30 Uhr holen wir den Anker aus dem Schlick, der dick und fest hinter den Flunken und im Kettenvorlauf hängt. Wir fahren ein Paar Runden und säubern das Geschirr, indem wir es hinter uns her durchs Wasser ziehen.
Vor der Bucht setzen wir die Segel und kreuzen auf recht engem Raum weiter nach Norden auf. Der Wind ist frisch und einige Böen legen das Schiff ordentlich auf die Seite. Gerade will man reffen, da lässt der Wind auch schon wieder nach. Wir kommen sauber durch die Enge in den Baggensfjärden und erreichen dort mit wenigen Kreuzschlägen die Tankstelle im kleinen Hafen von Saltsjöbaden.
Es herrscht ein Andrang wie zu Ferienbeginn an einer Autobahntankstelle. Kleine Motorboote sausen herum, drängeln sich vor und nehmen keine Rücksicht darauf, dass wir im engen Fahrwasser nicht so gut manövrieren können wie sie. Alles geht gut. Wir setzen noch ein letztes Mal die Segel, genießen das wunderbare Wetter und das tolle Gefühl, auf dem Wasser zu sein und laufen dann gegen 11.00 Uhr in Gustavsberg ein.
Nachdem das Schiff aufgeklart ist, bleibt uns noch Zeit im Bistro unsere Prinzessin zu besuchen und ein Kaffee in der Bäckerei ist auch noch drin. Mit dem Bus geht es später wieder nach Stockholm und von dort weiter mit dem Arlanda Express zum Flughafen. Aus dem Fenster der startenden Maschine können wir noch einmal auf die Schären blicken und freuen uns schon jetzt auf den nächsten Besuch!
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