Seemannsgarn: Die kleine Meerjungfrau

Seemannsgarn: Die kleine Meerjungfrau |
Seegebiet: Korsika

Seemannsgarn

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Es war im Golfo di Girolata an der Westküste Korsikas. Wir hatten eine ruhige Nacht an der Boje verbracht, waren von der Sonne geweckt worden und noch vor dem Frühstück für ein Bad ins Wasser gesprungen. Doch irgendwann kam der Abschied von dieser herrlichen Bucht. Die Yacht war an Bug und Heck jeweils an einer Boje festgemacht. Die Achterleine wurde losgeworfen und ich erhielt das Kommando des Skippers die Vorleine zu lösen.

Die Leine war lang und wickelte sich erst einmal um die Öse der Boje, so dass sie sich bekniff und nicht richtig ausrauschen konnte. Ich lehnte mich über die Reling und versuchte den Wuling zu lösen, als ich bemerkte, wie mir meine Sonnenbrille von der Nase rutschte. Ich machte mir aber keine weiteren Sorgen, denn ich hatte vorgesorgt, und an den Brillenbügeln ein Sicherungsband angebracht. Also kümmerte ich mich weiter um die Leine.

Die Brille hing mir inzwischen um den Hals, als ich spürte, wie das Band an meinem Nacken entlang lief. Instinktiv wollte ich nach der fallenden Brille greifen, doch mit meiner rechten Hand hielt ich mich an der Reling fest, mit der linken Hand war ich an der Boje beschäftigt. Als ich mich endlich entschieden hatte wo ich loslassen konnte, war es schon zu spät. Die Brille plumpste ins Wasser, und ich sah wie sie sich in Zickzackbewegungen dem Grund näherte, um dort für immer im Seegras zu verschwinden.

Nun wäre der finanzielle Verlust zu verschmerzen gewesen, aber die Sonnenbrille war geschliffen. Ohne sie sah ich in der Ferne kaum noch etwas. Doch ich hatte Glück. Als ich noch einmal hinunter schaute, tat sich eine kleine Sandbank inmitten des Bewuchses auf und genau dort war meine Brille gelandet. Ich belegte die Vorleine wieder und versuchte mir die Stelle zu merken. Das Lot zeigte 4 Meter Wassertiefe an, also etwas mehr als in einem Schwimmbecken. Das musste zu schaffen sein.

Ich zog mich bis auf die Unterhose aus, sprang kopfüber ins glasklare Wasser und kam so schon einmal ungefähr zwei Meter tief. Leider war keine Taucherbrille an Bord gewesen und ich sah alles nur verschwommen. Mit kräftigen Armzügen näherte ich mich der Stelle wo ich die Brille vermutete und tatsächlich: da lag sie. Ich griff nach ihr, wandte meinen Kopf nach oben und spürte sofort den Drang zu atmen.

Ich sah über mir die helle Wasseroberfläche und den Rumpf der Yacht, unter dem etwas grünlich Glitzerndes durchzog. Ich hielt inne, und versuchte mit meinem verschwommenen Blick zu erkennen, was es war. Erst dachte ich an einen Fischschwarm, aber dann glaubte ich, dass es sich nicht um einzelne Fische, sondern um die unterschiedlich gefärbten Schuppen eines größeren Tieres handeln müsste. Ich meinte eine Schwanzflosse zu sehen, aber wo war der vordere Teil? Erst als das Wesen wieder unter das dunkle Boot schwamm, schien sich dort der helle Oberkörper einer Frau abzuzeichnen. Es war mir, als würde sie zu mir herunterschauen und einmal kurz winken. Dann verschwand sie mit einem kräftigen Schlag der Schwanzflosse in dem durch die Wasseroberfläche gebrochenen Sonnenlicht.

Ich war wie verzaubert, als sich plötzlich heftige Atemnot einstellte. Ich trat den Weg nach oben an, der mir unendlich lang vorkam. Als ich mit der Brille in der Hand voraus auftauchte, wurde ich vom Beifall der Mannschaft begrüßt. Ich kletterte zurück an Bord, und noch während ich mich abtrocknete, legten wir ab. Ich schaute noch einmal zurück ins Wasser. Was hatte ich da wirklich gesehen?

Der Crew erzählte ich übrigens nichts von meinem Erlebnis. Ich befürchtete, dass sie mich entweder auslachen würden, oder dass sich sieben ausgehungerte Seeleute sofort auf die Suche nach einer Meerjungfrau machen könnten. Und dann wären wir an diesem Tag sicher nicht mehr aus der Bucht herausgekommen.

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